DELVING – All Paths Diverge

Trackliste:

01. Sentinel
02. Omnipresence
03. Chain Of Mind
04. New Meridian
05. Zodiak
06. The Ascetic
07. Vanish With Grace

 

 

 

Spielzeit: 62:07 min – Genre: Electronic Psychedelic Rock – Label: Stickman Records – VÖ: 23.08.2024 – Page: www.facebook.com/delvingmusic

 

Es ist immer beeindruckend, wenn sich eine Band aus vier, fünf Individuen zusammentut und dann ein geschlossenes Werk erschafft. Auf andere Weise beeindruckend ist es, wenn sich ein Typ alleine hinsetzt und ein komplettes Album einspielt. So geschehen auf „All Paths Diverge“, dem zweiten Studioalbum von DELVING (eigentlich komplett klein geschrieben), das ein Projekt von Multiinstrumentalist Nicholas DiSalvo ist. US-Amerikaner, wohnt in Berlin, war mit seiner Band ELDER bereits im Vorprogramm von TOOL unterwegs, kann man also gewisse Erwartungen dran haben, obwohl er Wahl-Berliner ist.
„All Paths Diverge“ ist rein instrumental gehalten und ziemlich elektronisch. Ja, das Fundament bietet in der Regel ein klassisch aufgestelltes Rockband-Setup, mit organisch klingenden Drums und authentisch produzierten Gitarren und Bass. Schöner Sound, zeitgemäß wuchtig, aber nicht glattgelutscht. Man hört der Platte an, dass sie in größten Teilen handgemacht ist.
Das Herzstück des Albums sind jedoch die Synthesizer. Die sind fast immer präsent, oft hypnotisch redundant gegen den Takt des Rests der „Band“ spielend, dann als sphärische Pads, mal als Soloinstrument, mal einigermaßen zeitgemäß, häufig oldschool klingend. Ihnen gibt DiSalvo den meisten Raum, lässt sie wie bei „The Ascetic“ auch mal vier Minuten aufbauen, bis die Rockband überhaupt einsetzen darf.
Um Eingängigkeit geht es dabei nicht, beziehungsweise nur selten, beim schönen Klaviermotiv des 14 Minuten langen „Zodiak“ zum Beispiel, der sich dafür am Ende aber auch minutenlange atmosphärische Klangteppiche gönnt. Mit Versatzstücken aus Psychedelic Rock, Artrock, elektronischer Musik der frühen Kölner Schule und der 70er, Jazz, Fusion und anderen Genres erschafft DELVING ein Album, bei dem man wohl weniger seine drei absoluten Lieblingssongs findet, sondern eher eines, das man seit dem 01. April dieses Jahres legal auf anderer Bewusstseinsebene von vorne nach hinten hört und sich dabei durch hypnotisierende Klanglandschaften tragen lässt.
„All Paths Diverge“ ist dafür weder zu langsam noch zu schnell, nimmt sich für einzelne Parts minutenlang Zeit, ohne jeden Part übertrieben auszureizen, und führt – mal subtil, mal nicht – jederzeit so viele neue Ideen oder Parts ein, dass der Hörprozess nie langweilig wird.
Okay, nun ist das Album auch nicht in großen Teilen die aufregendste Platte aller Zeiten, gerade hinsichtlich der Anfänge der Songs spart man doch an Überraschungen (Nimm eine sich wiederholende Synth-Line und pack mit der Zeit andere Sachen dazu), aber als irgendwie beruhigendes, vereinnahmendes Werk, das dennoch immer wieder mal angenehm scheppern darf, funktioniert „All Paths Diverge“ bestens.

Fazit:
Wer zum Meditieren zu hart ist, auf „intelligente“ Musik zu stehen glaubt, ein Herz für Synthesizer hat und optional eine gewisse Vorliebe für Brokkoli hat, der nehme „All Paths Diverge“, schalte die Anlage und die Stimmungslampe an und lasse sich treiben. Die Scheibe ist eine Erfahrung, und zwar eine gute.

Anspieltipps:
Der Reihe nach hören! Wer es unbedingt anders braucht, „Zodiak“ und „The Ascetic“

Jannis

DARK TRANQUILITY – Endtime Signals

Trackliste:

01. Shivers And Voids
02. Unforgivable
03. Neuronal Fire
04. Not Nothing
05. Drowned Out Voices
06. One Of Us Is Gone
07. The Last Imagination
08. Enforced Perspective
09. Our Disconnect
10. Wayward Eyes
11. A Bleaker Sun
12. False Reflection

Spielzeit: 50:34 min – Genre: Melodic Death Metal – Label: Century Media Records – VÖ: 16.08.2024 – Page: www.darktranquillity.com

 

Seit ich vor ein paar Wochen auf Facebook aus Spaß mal die Seite von einem selbsternannten Life Coach angeklickt habe, besteht mein Algorithmus praktisch nur noch aus Gestalten, die mir erklären, dass JETZT der Zeitpunkt ist, um mein Leben auf die nächste Stufe zu bringen. Das habe ich befolgt und zum ersten Mal in meinem Leben bewusst DARK TRANQUILITY gehört, im Zuge dieser Rezension. Jetzt ist mein Leben etwas besser. Die Schweden sind eine weitere dieser Bands, denen man ihr über 30jähriges Bestehen im besten Sinne kein bisschen anmerkt, und mit „Endtime Signals“, dem 13. Studioalbum, hat man das zweifelsfrei bewiesen.
Die Produktion von Keyboarder Martin Brändström und dem legendären Jens Bogren lässt erwartungsgemäß keine Wünsche offen und handwerklich stimmt ebenfalls absolut alles. Die Band wirkt komplett aufeinander eingespielt, was eine gute Nachricht angesichts zweier neuer Mitglieder (Christian Jansson am Bass und Joakim Strandberg Nilsson an den Drums) ist.
Musikalisch erwartet Fans auf den ersten drei Tracks erstmal gut Feuer, mit Mikael Stannes kraftvollen Growls, ordentlich Härte und Melodie, die den Gitarren und dem Bass hintergründig entspringt; die zudem alle sehr stimmig sind, Atmosphäre und Emotionen transportieren, ohne am Härtegrad was zu rütteln.
Track 4 bis 6 fahren dann auch mal Klargesang und ruhige Parts ohne große Bandaction auf, insbesondere „One Of Us Is Gone“, der den Job der Ballade macht, Klavier und Orchesterelemente weiter in den Vordergrund holt und kompositorisch in Sachen Melodien wie Songstruktur bestens zündet. Sauberer Albumaufbau also, das Herauszögern des Klargesangs baut auf smarte Weise Druck auf und macht den Hörprozess intensiver.
Klar, nach so viel Softness braucht es dann erstmal wieder zwei Tracks Härte, gerade „Enforced Perspective“ geht quasi durchgängig volle Pulle (Melodien gibt’s natürlich trotzdem). Das anschließende „Our Disconnect“ ist der einzige Song über fünf Minuten, verhältnismäßig elektronisch und rhythmisch, und fällt auf positive Weise aus der Reihe. Und mit „Wayward Eyes“ und vor allem „False Reflection – hervorragender Endtrack – kriegen wir noch zweimal erhöhtes Melodielevel mit Klargesang und elektronischen Sounds/Orchester und dazu einen netten Ballerer mit „A Bleaker Sun“.
Albumaufbau: Top. Komposition: Ebenfalls top. Auch bei den ganz melodischen Parts und Tracks wird „Endtime Signals“ nicht kitschig oder belanglos, bei den ganz harten verzichtet man auf enthärtende Melodien und die Parts, in denen Härte, Growls und Melodieteppich aufeinander treffen, gehen sie bestens einher. Den Anteil an klaren Vocals finde ich sehr passend, die Menge und Auswahl an Orchestersounds und elektronischen Klängen ebenfalls.

Fazit:
Also, mir gefällt’s sehr gut. Als DARK-TRANQUILITY-Neuling kann ich natürlich nicht sagen, ob jetzt nicht eine große Menge an langjährigen Fans plötzlich um die Ecke kommt und sagt, das sei doch kein DARK TRANQUILITY mehr, oder so. Was ich sagen kann: „Endtime Signals“ ist ein extrem starkes Album einer Band, die es im Blut zu haben scheint, Death Metal und Melodien, Atmosphäre und Emotionen bestens in Einklang zu bringen. Ich reserviere schonmal das nächste Album vor!

Anspieltipps:
„Shivers And Voids“, „Our Disconnect“, „Wayward Eyes“ und „Drowned Out Voices“

Jannis

VOICE – Holy Or Damned

Trackliste:

01. Nevermore
02. The Silence Of Prescience
03. In This World
04. Dream On
05. Schizo Dialogues
06. Tears In The Dust
07. Chatroom Whispering
08. Privateer (Bonus Track)
09. Let’s Go Ahead (Bonus Track)
10. Only Grey Remain (Bonus Track)
11. Petrified Dreams

Spielzeit: 64:57 min – Genre: Heavy Metal – Label: Massacre Records – VÖ: 12.07.2024 – Page: www.facebook.com/VOICEmetalband

 

Mal wieder Zeit für eine Heavy-Metal-Band aus Deutschland, von der ich im Leben noch nicht gehört habe. Angesichts der weniger als 700 Facebook-Fans wage ich zu behaupten: Ihr auch nicht.
Also, kurze Bandvorstellung: VOICE gibt es seit 1996, dann haben sie bis 2003 vier Alben veröffentlicht und sind dann für 14 Jahre von der Bildfläche verschwunden, um 2017 wieder aufzutauchen und nun 2024 ihr sechstes Album, „Holy Or Damned“, rauszubringen.
Wenn man sich Bands wie BRAINSTORM (an die VOICE gerne mal erinnern) oder RAGE anschaut, weiß man: Deutsche Bands können sehr gut zwischen Heavy und Power Metal pendeln. Das tun VOICE auch. Kompositorisch ist das schon Heavy Metal, mit schöner zum Vibrato neigender Stimme von Oliver Glas, der standardmäßig in tieferen Sphären unterwegs ist, in höheren aber einen ebenso hervorragenden Job macht. Sehr melodieorientierter Heavy Metal aber, der sich nicht scheut, einen Großteil seiner Songs mit kleinen AddOns wie Orchester-Instrumenten, E-Orgel, Klavier, Chor, nicen Glocken oder subtilen Synthesizern anzureichern. All das jedoch so geschickt in den Hintergrund verwoben, dass die Metal-Ebene der Platte nicht verwässert wird. Allenfalls die Streicher oder das Klavier dürfen mal mehr an die Oberfläche, aber auch nur da, wo wirklich angemessen. Größtenteils sind die Songs im Midtempo gehalten, gut nickbar, mit erfreulichen Ausbrüchen in schnellere BPM-Zahlen.
Produktionstechnisch ist „Holy Or Damned“ echt gut geworden, lediglich die Orchestersounds klingen etwas billig, wenn sie nicht von ausreichend Band-Action umgeben sind. Sonst stimmt hier alles, die smooth eingefügten Backing Vocals, ein stabiles Drumset, guter Basssound.
Apropos Basssound: Darf der Bass sich mal mehr austoben, beweist er fantastisches Fingerspitzengefühl in seinen Lines, dem steht der Rest der Band aber auch in nichts hinterher. Die Arrangements, das Gespür für das konstruktive Zusammenspiel der Instrumente, des Gesangs und der kleinen Bonus-Sounds ist top. Das Album wirkt quasi durchgängig intuitiv absolut stimmig, ohne dass einer der Instrumentalisten zwischendurch mal seine Extrawurst-Minute bräuchte und dadurch das Gesamtbild stört.
Kleine progressive Elemente sind auch am Start, aber so wenig nach Aufmerksamkeit heischend, dass man sie nicht bemerken würde, würde man nicht explizit darauf hören.
Melodietechnisch erfüllt die Komposition ihren Zweck, bleibt aber doch oftmals auf gutem Durchschnittsniveau, was auch soweit der einzige Kritikpunkt ist, der bei „Holy Or Damned“ wirklich zu Buche schlägt. Das Ding gehört nicht zu denen, die man einmal hört und dann einen Monat später wieder auf ein Lied stößt und sich dann direkt daran erinnert. Klar, Melodien sind durchgängig vorhanden, oft groß, intensiv und nicht selten emotional, aber an diesem Punkt hat man wohl doch etwas zu oft auf Routiniertheit gesetzt.

Fazit:
Handwerklich macht den Jungs von VOICE keiner was vor, und ihr neuster Longplayer ist alleine deswegen schon einen Hördurchgang wert. Wer melodiöse Offenbarungen sucht, findet hier nicht ganz zu seinem Glück, aber „Holy Or Damned“ ist hervorragend gemachter melodischer Heavy Metal von talentierten Musikern, die am lebenden Objekt gelernt haben, anstatt das Lehrbuch lesen zu müssen.

Anspieltipps:
„Tears In The Dust“, „In This World“, „Schizo Dialogues“ und „Let’s Go Ahead“

Jannis

THEN COMES THE NIGHT – Start The Change

Trackliste:

01. Start The Change
02. Roar Out Your Anger
03. The Gypsy Curse
04. Princess Of The Heart
05. Leather On Leather
06. Badass D
07. In My Mind
08. Arose From The Graves
09. Zeitgeist
10. Hero Of Your Dreams

 

Spielzeit: 46:51 min – Genre: Heavy/Power Metal – Label: Metalapolis Records – VÖ: 26.07.2024 – Page: www.facebook.com/thencomesthenight

 

Nicht selten sitzt man als Albumrezensator vor einem gut gemachten Metal-Album und fragt sich, was man dazu eigentlich großartig sagen soll. Da ist „Start The Change“ von THEN COMES THE NIGHT doch mal eine willkommene Abwechslung. Das ist das zweite Album der Baden-Württemberger, und eine nette Nostalgieveranstaltung in Sachen deutscher Power Metal plus X.
Die Jungs haben sich auf ihrem neuen Longplayer ordentlich ausgetobt und bedienen sich sowohl bei Rock’n’Roll-Vorbildern („Princess Of The Heart“), als auch bei Größen wie GAMMA RAY (deren Spirit insbesondere beim unbekümmert fröhlichen Opener zur Geltung kommt) und AVANTASIA (exemplarisch: Der Chorus von „Roar Out Your Anger“). Dazu kommt als besonderes Merkmal ein Hang zu musicalesken Kompositionen, der sich am deutlichsten beim hervorragenden und angemessen kitschigen „In My Mind“ zeigt. Dieser Hang zieht sich durch einen Großteil der Songs, nicht immer so brechhammerartig, oft auch subtiler, zeigt sich an kleinen unvorhergesehenen Wendungen, Tempowechseln und unkonventionellen Melodielines. Dazu kommen diverse feine Details wie Glocken, Glockenspiele, kleine elektronische Elemente, Streicher, Klavier und sparsam dosierte, dann aber auch voll reinhauende Chöre, wie beispielsweise beim finalen melancholisch-feelgoodigen „Hero Of Your Dreams“, das davon entscheidend bereichert wird.
Musikalischer Skill ist durch die Bank vorhanden, der Großteil der Songs entfaltet einen eigenen Charakter, der für Wiedererkennungswert schon nach dem ersten Hördurchgang sorgt.
Das alles ist in hohem Maße positiv und hebt „Start The Chance“ von vielen Heavy/Power-Metal-Alben ab. Klar, nicht jeder Part unterhält gleichermaßen und der ein oder andere Chorus wird überstrapaziert, aber die Platte hat ohne Frage mehr als genug von „dem guten Shit“ auf Lager.
Abstriche werden leider beim Sound gemacht. Nicht nur hat man sich dazu entschieden, auf die Snare fast durchgängig einen weiteren seltsamen Sound draufzulegen, an den zumindest ich mich bis zum Ende des Albums nicht gewöhnen konnte. Dazu scheint die eigentlich okaye wenngleich nicht final detaillierte Produktion von Song zu Song noch einmal zu variieren. Da fragt man sich nach dem nicen Basssound bei „The Gypsy Curse“ dann bei „Badass D“ doch, wo der Bass eigentlich geblieben ist. Hier wäre mehr Stringenz in der Produktion, ein vernünftiger Snaresound und etwas mehr Feinarbeit wirklich gut gewesen.

Fazit:
Aber immer, wenn man sich gerade über irgendwas am Sound aufregt und überlegt, die Gesamtwertung runterzufahren, kommt ein Part oder Detail in einem Song, von dem man dankbar ist, dass man ihn überhaupt mal zu hören bekommt. Fans, die Audioqualität an oberster Stelle sehen und sich lieber ein fett produziertes Standardalbum als ein soundtechnische Mängel aufweisendes kreatives Album mit Eigenständigkeitswert geben, werden mit „Start The Change“ wohl ihre Problemchen haben. Wer aber über ein paar Makel hinwegzusehen bereit ist, wenn er dafür etwas musikalisch besonderes und enorm unterhaltsames bekommen kann, dem sei die neue „Then Comes The Night“ wärmstens ans Herz gelegt!

Anspieltipps:
„Start The Change“, „In My Mind“, „Arose From The Graves“ und „Hero Of Your Dreams“

Jannis

LEGIONS OF THE NIGHT – Darkness

Trackliste:

01. No Control
02. Rebirth
03. Darkness
04. Hate
05. One Moment
06. Another Devil
07. Let The River Flow
08. Better Men
09. The Witches Are Burning
10. Leave Me
11. I Don’t See The Light
12. Tonight He Grins Again

Spielzeit: 55:44 min – Genre: Power Metal – Label: Pride & Joy Music – VÖ: 12.07.2024 – Page: www.facebook.com/Legions-of-the-Night-102006271677428

 

Es ist hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis LEGIONS OF THE NIGHT auf den großen Festivalbühnen des Landes stehen. Die Deutschen haben 2020 bereits mit ihrem Debüt bewiesen, dass sie auf einem extrem hohen Level unterwegs sind und das Potenzial haben, frischen Wind in die deutsche Power-Metal-Szene zu bringen, die viel von ihren Klassikern lebt, aber in Sachen Nachwuchs mehr zu bieten haben könnte. Obwohl, vielleicht hat sie das auch, und die ganzen guten neuen Bands laufen nur ähnlich sträflich unter dem Radar wie eben LOTN.
Frischer Wind ist dabei vielleicht missverständlich. Mit SAVATAGE verbindet das Trio um METALIUM-Sänger Henning Basse weit mehr als nur das starke Cover von „Tonight He Grins Again“, das sein neustes und drittes Album „Darkness“ abschließt. Viel Klavier, vertreten in einem großen Teil der Songs, eine wandelbare und hervorragende Gesangsleistung von Henning, der sowohl leicht opernhaft, als auch rau, kreischend, ruhig und „klassisch“ metallisch einen super Job macht, einiges an Orchester und ein Hang zur Theatralik erinnern an die Legende, ohne dass LOTN mehr als inspiriert davon wirken würden.
Tatsächlich ist es faszinierend angesichts all der Bands, die mal einen Takt skippen und sich dann „Progressive“ vor’s Genre schreiben, dass ausgerechnet LEGIONS OF THE NIGHT darauf verzichten. Gut, auf Ebene komplexer Taktarten sind sie es auch nur selten, aber eben auf kompositorischer. Unterschiedliche Parts mit unterschiedlichen Vibes aneinanderhängen kann jeder, aber bei LEGIONS quillt das Wissen um effektives, kluges Songwriting aus jedem Songteil und vermittelt das Gefühl, man höre ein metallisches Ein-Sänger-Musical. Zumeist mit düsterer, teils tragischer, gerne auch mal wütender Grundstimmung und dem gelegentlichen Funken Hoffnung dabei. Das alles kommt auch praktisch null prätentiös daher. „Darkness“ ist durchaus leicht verdaulich, aber gleichzeitig echt reich an musikalischen Nährstoffen.
Und das zündet. Der Ohrwurm-Chorus ist tatsächlich ein Ohrwurm, der biestige Part ist wirklich biestig, der ruhige davor oder danach wirklich ruhig, aber nur in seltenen Fällen wirkt das Aufeinanderfolgen dieser Parts nicht stimmig.
LEGIONS OF THE NIGHT wissen auf kompositorischer Ebene bestens eine Geschichte zu erzählen, den Hörer im Griff zu haben wie bei Telefonaten.
Da macht es dann auch nichts, dass zum Beispiel „Let The River Flow“ in ironischer Referenz seines Namens eher so dahinplätschert und ein „One Moment“ dann doch etwas auf seinem „hör mal wie ruhig das ist ABER DAFÜR IST ES JETZT RICHTIG HEAVY“ herumreitet.

Fazit:
Denn zu einem beeindruckenden Großteil seiner Laufzeit ist „Darkness“ so gut geschrieben – und nicht zu vergessen: gespielt, gesungen, arrangiert und produziert – dass Power-Metal-Fans, die von ihrer Musik mehr erwarten als die immer gleichen Wendungen sowie Swords und Glory, auch vom neusten Werk von LEGIONS OF THE NIGHT viel mehr bekommen, als sie erwarten dürften.

Anspieltipps:
Start bei Track 1, und dann einfach mal weiter!

Jannis

ORDEN OGAN – The Order Of Fear

Trackliste:

01. Kings Of The Underworld
02. The Order Of Fear
03. Moon Fire
04. Conquest
05. Blind Man
06. Prince Of Sorrow
07. Dread Lord
08. My Worst Enemy
09. Anthem To The Darkside
10. The Journey Thus Far
11. The Long Darkness

Spielzeit: 48:11 min – Genre: Power Metal – Label: Reigning Phoenix Music – VÖ: 05.07.2024 – Page: www.facebook.com/ORDENOGAN

 

01. Juli, drei Uhr morgens. Der Wecker von Patrick Star klingelt, um ihn für seinen nächtlichen Krabbenburger zu wecken. Doch nicht nur seiner. Tausende Power-Metaller im gesamten deutschsprachigen Raum wachen auf und öffnen ihre Browser, um pünktlich um vier zum Erscheinen der Rock-Garage-Rezension zu ORDEN OGANs neuem Album „The Order Of Fear“ online zu sein und endlich Gewissheit zu haben, ob das neuste Ding der Deutschen gut geworden ist, nachdem in der Vergangenheit die Alben der Band ja doch – durchgängig geil waren. Man kann sich da ja nie so sicher sein.
Ja, Leute, geht wieder schlafen. Ist geil geworden. Überraschung. Wir alle kennen die Trademarks von ORDEN OGAN (oder ORN OUNG, einfach weil mich die Schreibweise amüsiert): Fettester Power Metal, toll von Sänger Seeb produziert, individueller Sound, individuelle, große Melodielines, zeitweise echt anständiges Gebretter, bisschen düster, Chöre, etwas Orchester, Sorrow, irgendwer ist blind – und bei alldem doch allermeistens genug Eigenständigkeits-Argumente in den einzelnen Songs, um auch dem neusten Release immer erwartungsfroh entgegenzuschauen. Und was soll ich sagen? Genau das ist „The Order Of Fear“. Tendenziell ein bisschen düsterer und härter als die Vorgänger, aber ansonsten genau das, was OO-Fans wollen und die einzige Kritik richtet sich an zwei, drei Songs, die ein paar weniger der besagten Eigenständigkeits-Argumente zu bieten haben. Was herzlichst irrelevant ist im Vergleich mit anderen wichtigen Power-Metal-Bands, bei denen das inzwischen über 90% ihrer Songs gesagt werden kann.
So. Damit ist eigentlich alles bis auf die Kauf/Hörempfehlung bereits ausgesprochen. Kauft/Hört das Album!
Und jetzt einfach noch ein paar ungeordnete Worte zu Songs und Umständen. Fun Fact Nummer 1: Drei der Songs hat man tatsächlich mit Hilfe geschrieben. Von wem? Von einem YouTuber aus Uruguay, der der Band durch seine Coverversionen ihrer Songs auffiel und die Songwriting-Blockade am Anfang des Prozesses zu überwinden half. Coole Sache. Fun Fact Nummer 2: Die einzigen beiden Songs, die über fünf Minuten lang sind (dann aber auch direkt sieben oder acht Minuten überschreiten), entstanden aus älteren Ideen. „Anthem To The Darkside“s Wurzeln liegen gar in der Schulzeit der Band. Das hört man durchaus, aber ist ja nice, mal ein bisschen stilistische Abwechslung und ein paar Frühe-ORDEN-OGAN-Vibes zu haben. Apropos Abwechslung: Irgendwas ist mehr Party an „Prince Of Sorrow“, als ich erwartet habe, und der Song ist absolut großartig. Zu guter letzt: „Moon Fire. Moon Fire! Fire of the Moon Fire! Fire of the Moon Fire. Moon Fire! Fire of the Moon Fire! Fire of the Moon.“ ist unironisch der komplette Refrain von „Blind Man“. Spaß, von „Moon Fire“. Die Meme-Vorlage liegt vor unser aller Augen. Machen wir was draus!

Fazit:
Album hören. Album hören! Hören von dem Album hören! Hören von dem Album hören. Album hören! Hören von dem Album hören! Hören von dem Album.

Anspieltipps:
„Prince Of Sorrow“, „Conquest“, „Kings Of The Underworld“ und „The Order Of Fear“

 

Jannis

NEW HORIZON – Conquerors

Trackliste:

01. Against The Odds
02. King Of Kings
03. Daimyo
04. Shadow Warrior
05. Apollo
06. Fallout War
07. Messenger Of The Stars
08. Before The Dawn
09. Edge Of Insanity
10. Alexander The Great (356-323 B.C.)

Spielzeit: 52:04 min – Genre: Power Metal – Label: Frontiers Music s.r.l. – VÖ: 14.06.2024 – Page: www.facebook.com/newhorizonworld

 

Wie viele Musiker braucht man, um ein gutes Power-Metal-Album zu machen? Zwei! Einen, der Lead- und Rhythmusgitarren, Bass, Keyboard und Backing Vocals übernimmt, und Nils Molin von DYNAZTY/AMARANTHE. Okay, plus Gastmusiker.
Diese Leute haben sich also zusammengetan und mit ihrem Projekt NEW HORIZON nun dessen Album „Conquerors“ rausgebracht. Und das ist – schon was besonderes.
Zuerst vorne weg: Das Ding ist bei Frontiers Music s.r.l. erschienen, womit man schonmal davon ausgehen kann, dass Instrumentalleistung und Produktion sitzen, und so ist es auch. Und da Frontiers ein Herz für Hard Rock, AOR etc. haben, kann man bei einem Power-Metal-Album aus ihrem Sortiment davon ausgehen, dass es ein paar dieser Einflüsse beinhaltet. Was es tut, und das ist eine Stärke von „Conquerors“, das mit Orchester und AORigen dicken Synthesizern daher kommt und mit Nils einen Sänger mitbringt, der Metal ebenso gut kann, wie eine theatralische Rockstimme. Hab ich in dem Genre nicht erwartet, aber ist ja cool!
Und nicht nur das ist cool. „Conquerors“ ist ein Album der Marke „Wenn es geht und im weiteren Sinne vertretbar in Anbetracht des Genres ist, lass es machen“. Das erwartet man vor dem zweiten Track noch gar nicht so wirklich. Der Opener bietet ein Orchesterintro, angenehm fiese Gitarren, dazu klassische Power-Metal-Cheese-Melodien plus eben Synthesizer. Ist nicht ultra standard, aber man kennt’s doch schon irgendwie und fragt sich, ob das alles sein soll.
Aber dann kommt halt auch schon „King Of Kings“ mit gefühlvoll-kitschigem Orgel+Gesangs-Anfang (ja, das Wort „Glory“ ist enthalten) und dann beginnt die komplette Pop-Power-Metal-Party, die Fans von beispielsweise BATTLE BEAST das ein oder andere pink-stählerne Freudentränchen entlocken dürfte. Mit weiterem Orgel-Emotion-Intermezzo. Ist das nun geschmacklos oder hochgradig spaßig? Vielleicht beides, aber wichtig ist, dass es letzteres ist. Dann wieder Stimmungswechsel mit starkem Ohrwurmchorus und Gestampfe bei „Daimyo“, bösere Vibes und feierlicher Refrain bei „Shadow Warrior“, mehr Entertainment bei „Apollo“ und so weiter.
„Conquerers“ schafft es, einem Großteil seiner Songs eine eigene Identität zu schaffen, mal eher poppig, mal eher seriös zu sein. Der Entertainment-Faktor ist hoch, und natürlich muss man nicht mit jeder Entscheidung mitgehen („Before The Dawn“ fährt beispielsweise alles auf, was man für eine schmalzige Ballade braucht), aber es nimmt einen mit, hält bei Laune, langweilt praktisch nie und gibt meistens alles. Und das ist äußerst wertvoll angesichts der Masse an Alben, die mit allesamt ähnlichen Songs aufwarten und ihre Zutaten bereits im ersten Song komplett offenlegen.

Fazit:
NEW HORIZONs „Conquerers“ hat nicht zu viel des Guten, es hat einfach mehr davon. Das Ding ist ein homogener Einführungskurs, was Power Metal heutzutage so alles sein kann, wird für jeden Genrefan ein paar Highlight-Songs und viel auch echt gutes Material bereithalten und ist damit für mich eines der unterhaltsamsten Genrewerke des bisherigen Jahres!

Anspieltipps:
„King Of Kings“, „Shadow Warrior“, „Apollo“ und „Edge Of Insanity“

Jannis

SUNBURST – Manifesto

Trackliste:

01. The Flood
02. Hollow Lies
03. Samaritan
04. Perpetual Descent
05. Inimicus Intus
06. From The Cradle To The Grave
07. Manifesto
08. Nocturne

 

 

Spielzeit: 50:46 min – Genre: Progressive Metal – Label: Inner Wound Recordings – VÖ: 14.06.2024 – Page: www.facebook.com/sunburstofficial

 

Griechische Metalband, melodisch, mit Keyboards, waaaaaarte… Macht Bob Katsionis die Keys? Kurz gecheckt, jawoll. Und damit kann SUNBURSTs zweites Album „Manifesto“ schonmal nicht so schlecht sein, denn wo der Mann mitmacht, sind auf jeden Fall die Keyboards stabil und er hat ja auch ein gutes Talent, sich die richtigen Bands auszusuchen.
Spannungsarmer Rezensionsaufbau, aber nun, so sieht es aus. SUNBURST gibt es seit 2010 und jetzt erst ist ihr zweites Album draußen. Da lässt sich offenbar jemand Zeit, aber das rechnet sich ja auch gerne mal.
Progressive Metal steht auf dem Programm, laut Promotext der Marke DREAM THEATER, SYMPHONY X etc. Alles unter einem guten Stern, kann man sagen. Weil Sänger Vasilis Georgiou klingt wie eine Mischung aus Michael Kiske und Roy Khan, mit schönem Vibrato, leicht belegt, sehr gut darin, Emotionen zu transportieren. Und die finden sich in dem oft melancholisch anmutenden Album in hohem Maße. Dazu kommt eine hervorragende Instrumentalfraktion, aus der insbesondere Gus Drax an den Gitarren hervorsticht. Der sorgt dafür, dass trotz der Gefühl-Anteils im Songmaterial jeder Track doch angemessen Metal bleibt, mit einem Händchen für gute Riffs und auch mal schnelles Gefrickel.
Apropos schnelles Gefrickel: „Manifesto“ ist eindeutig Progressive Metal und genehmigt sich auch das ein oder andere halsbrecherische Solo und den ein oder anderen komplexeren Takt, verliert sich aber nicht in musikwissenschaftlicher Selbstbefriedigung. Eine ruhige Strophe im 4/4tel-Takt darf ebenso sein, wie ein unprogressiver, dafür schöner Chorus. Und diese Parts werden mit den technischeren, komplexeren bestens verwoben. Kein Übergang in einen anderen Modus, der erzwungen oder holprig wirken würde.
All das wird dann noch ergänzt durch hochwertige Orchestersounds, die genau so sinnhaft eingefügt sind wie besagte Keyboards. „Manifesto“ hat damit einen hohen „Klingt, als müsste das so“-Faktor, was eines der höchsten der Gefühle ist, wenn ein Album gut sein soll.
Und nochmal zurück zu Roy Khan: KAMELOT hätten sich in der „Für Fans von“-Liste bestens gemacht. Orchester, musikalische Virtuosität, die Vocals und die melancholische Grundstimmung der Platte erinnern sehr an die Band, wobei guten Gewissens gesagt werden kann, dass das wirklich in einem „Für Fans von“- und nicht in einem „abgekupfert von“-Sinne passiert.
Nette Produktion außerdem, gerne mal ziemlich dicht und intensiv, generell ein klein wenig höhenarm, und ein Minimum an Definiertheit hätte noch sein dürfen, aber daran hat man sich schnell gewöhnt.

Fazit:
Womit „Manifesto“ ein intuitiv anmutender Leckerbissen für Fans von melodischem, orchestralem Progressive Metal mit Seele ist, der mit Kopf, Talent und Herz gemacht wurde, ohne bemüht intelligent wirken zu wollen.

Anspieltipps:
„The Flood“, „From The Cradle To The Grave“ und „Manifesto“

Jannis

NIGHTMARE – Encrypted

Trackliste:

01. Nexus Inferis
02. The Blossom Of My Hate
03. Voices From The Other Side
04. Saviours Of The Damned
05. Wake The Night
06. Encrypted
07. Incandescent
08. White Lines
09. Borderlines
10. Eternal Winter (2023 Version)
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Spielzeit: 48:00 min – Genre: Heavy Metal – Label: AFM Records – VÖ: 07.07.2024 – Page: www.facebook.com/nightmare.france

 

Okay krass. Mir war schon irgendwie bewusst, dass es eine etabliertere Band namens NIGHTMARE gibt, bin aber bei dieser Rezension erstmal spontan davon ausgegangen, dass ich hier das Album einer anderen gleichnamigen Band bespreche. Das zwölfte Album der 1979 gegründeten Truppe klingt schlicht und ergreifend, als habe man es mit einer jungen, ca. 2017 gegründeten Melodic-Metal-Band zu tun, die auf der Höhe der Zeit agiert.
„Encrypted“ hat dazu alle Bestandteile. Teils technisches Drumming, dezente Chöre, Streicher und die immer willkommenen taktisch platzierten Glocken. Vocals von einer Sängerin, die den Spagat zwischen Rock und leichten Pop-Vibes perfekt bewältigt, eine Kombination aus mehrheitlich melodischen und einigen gegrowlten Parts, die wirklich gut hart ausfallen, mit biestiger Gitarrenarbeit und zwischendurch sogar mal ein paar Blastbeats.
All das dann einmal durch den gute-Produktions-Wolf gedreht (jap, das Ding knallt ordentlich), und fertig sind die neuen alten Shooting Stars von AFM Records. Ich bin beeindruckt.
Modern ist auch das Songwriting. Jetzt nicht ultramodern, die Breakdowns, Bassdrops und Core-Elemente bleiben uns erspart, aber in den Melodien und Arrangements doch sehr zeitgemäß. Die Grundstimmung ist düster, Dur ist hier nicht gerne gesehen, wenn es melodisch wird (also meistens), aber auch ziemlich eingängig.
Wobei: Eingängig ist die Platte im Ohrwurmsinne nicht wirklich, obwohl ihre Melodien erstmal danach klingen. Der Wiedererkennungswert der Melodien ist vergleichsweise gering, was ein bisschen schade ist, weil ein solches Album eigentlich prädestiniert dazu wäre, sich im Mindesten mit den Refrains unnachgiebig im Gehirn festzufressen. Das passiert jedoch selten, und zusammen mit dem Konzept, schnelle und langsame Parts, Growls und Klargesang in ähnlichen Verhältnissen in jedem Song anzuwenden, verschwimmen die Songs etwas zu sehr im Gedächtnis. Wird besonders deutlich daran, dass die 2023er Version von „Eternal Winter“ als eine neue Version eines früheren Songs mit anderen Songwriting-Prioritäten einer von denen ist, die am meisten im Gedächtnis bleiben.

Fazit:
Handwerklich und technisch ist „Encrypted“ makellos. In Sachen Songwriting ist es gut, meist auf ähnlichem Niveau, was es schwer macht, die Hits des Albums zu bestimmen, was andererseits aber auch keine Tiefpunkte zulässt. Wer mit Metal der oben beschriebenen Art aber was anfangen kann, wird trotzdem gut bedient. Und mal auschecken lohnt sich alleine schon, um davon begeistert zu werden, wie frisch NIGHTMARE 45 Jahre nach ihrer Gründung immer noch klingen!

Anspieltipps:
„The Blossom Of My Hate“, „Wake The Night“ und „Saviours Of The Damned“

Jannis

RHAPSODY OF FIRE – Challenge The Wind

Trackliste:

01. Challenge The Wind
02. Whispers Of Doom
03. The Bloody Pariah
04. Vanquished By Shadows
05. Kreel’s Magic Staff
06. Diamond Claws
07. Black Wizard
08. A Brave New Hope
09. Holy Downfall
10. Mastered By The Dark

 

Spielzeit: 63:31 min – Genre: Symphonic Power Metal – Label: AFM Records – VÖ: 31.05.2024 – Page: www.facebook.com/rhapsodyoffire

 

Wohl kaum eine Band hat so viel Gutes und Schlechtes für Power Metal getan wie RHAPSODY OF FIRE. Gutes, weil sie Klassiker geschaffen, einen relevanten Stil mit- und ausgeprägt hat und Genre-Vorbild für eine Menge guter Bands ist. Schlechtes, weil sie auch den Weg für viel Mittelmaß-Bands geebnet hat, die den gleichen Stil ohne den besonderen Faktor bieten. Aber jut, hat man nicht in der Hand, ne?
Nun sind die Italiener auf jeden Fall wieder da, mit „Challenge The Wind“, ohne einen italienischsprachigen Song und ohne Balladen. Gemischt wurde der Spaß von ORDEN OGANs Seeb Levermann, und wo der beteiligt ist, muss er gelobt werden. Die Platte klingt fett, das Orchester vielleicht nicht so pompös, wie es hätte sein können, aber schon amtlich. Und der Symphonic-Faktor ersetzt glücklicherweise auch nicht die Härte, die auf „Challenge The Wind“ allemal vorhanden sein darf.
Manche mögen die Band aufgrund ihres Stils belächeln, aber seien wir ehrlich: Was RHAPSODY OF FIRE seit Jahrzehnten machen, macht kaum eine andere Truppe so gut wie sie. Die Harmoniewendungen sind auch auf dem neusten Output typisch RHAPSODY OF FIRE, was aber auch 2024 immer noch bedeutet, dass sie nicht allzu vorhersehbar sind und sich vom Standard absetzen. Das kann zu Songs wie „Diamond Claws“ führen, die in jeglicher Hinsicht einfach sehr guter symphonischer Power Metal sind, von denen mir kein Genrefan sagen kann, dass sie nicht seinen Nerv treffen. Das kann aber auch zu „Challenge The Wind“, dem Opener des Albums, führen, die fast schon lächerlich unüblich Dur-lastig ausfallen, ohne dass man ihnen großartig platten Kitsch-Modus unterstellen kann.
Auf der anderen Seite gibt es dafür opulente Düsterkeit. So beim 16-Minüter „Vanquished By Shadows“, der mehrere Parts, unklare Vocals und vielseitige Arrangements liefert und in Teilen die Frage beantwortet, was passiert, wenn RHAPSODY OF BORGIR ein Ding wäre. „Kreel’s Magic Staff“ ist noch am ehesten der Folksong auf „Challenge The Wind“, aber auch nicht wirklich.
Alles in allem ist das Album ein weiterer Beweis für das kompositorische Können des Quintetts, mit Wendungen, die man so eher in Klassik erwartet, zu Teil so aber auch nicht alle Nase lang in anderem von Klassik inspiriertem Power Metal findet. Und klar, die ganzen ROF-Trademarks sind auch drin. Lateinische Chöre, coole Orchestral-Shots, minimal unklarer Gesang und Synthesizer, tolle Leistungen von allen Beteiligten und Songs mit dem nötigen Maß an Eigenständigkeit.

Fazit:
„Challenge The Wind“ ist deutlich über dem Mindestniveau, das man von RHAPSODY OF FIRE erwartet, erfüllt alle Fanwünsche und gibt keinen Anlass zu berechtigter Kritik. Fetter orchestraler Power Metal mit okay viel Härte von einer der Bands, die nicht nur am besten wissen, wie man sowas macht, sondern die auch noch ein echtes Songwriting-Händchen haben. Da geb ich Euch Brief und Seagleheart drauf.

Anspieltipps:
„Challenge The Wind“, „Diamond Claws“, „Black Wizard“ und „Vanquished By Shadows“

Jannis