STIER – Geisterschiff/Hart am Wind

Band: Stier
Album: Geisterschiff/Hart am Wind
Spielzeit: 49:54 min./45:34 min.
Stilrichtung: Deutschrock
Plattenfirma: SPV
Veröffentlichung: 28.03.2014
Homepage: www.stierrocks.de

Wer hinter STIER eine weitere unnütze Combo aus dem Bereich der Neuen Deutschen Härte vermutet, liegt komplett falsch. Viel mehr handelt es sich hier um eine Band, die viele Einflüsse in ihrem Sound verarbeitet, die nicht unbedingt kompatibel mit den gewöhnlichen Themen sind, die üblicherweise hier bei Rock Garage beackert werden. Das fängt schon mit der theatralischen und eigenwilligen Performance des Bandleaders und Namensgebers Hans-Martin Stier an und gipfelt in einzelnen Songs, die Soul, Funk, Fusion, Rock und sogar Tangoanleihen in Einklang bringen. Hier einfach von Deutschrock zu sprechen, wäre grob fahrlässig. Man muss also als tendenzieller Hardrock-Hörer schon eine ordentliche Portion Weitsicht mitbringen, um in den Sound von STIER einzutauchen.

Aber die Musik der Nordlichter ist durchaus eine Entdeckung wert. Zumal STIER gleich mit einem Doppelschlag aufwarten. Neben dem akustisch gehaltenen Album „Geisterschiff“ gibt es auch eine „elektrische“ Version, die auf den Namen „Hart am Wind“ getauft wurde. Dabei ist H-M Stier schon lange als Musiker unterwegs, lange bevor er als Schauspieler – u.a. in Filmen wie „Himmel über Berlin“ oder „Duell – Enemy At The Gates“ – durchgestartet ist. Zurück bis ins Jahr 1978 reicht die musikalische Vita des ehemaligen Seemanns, der mit der TÖRNER STIER CREW für Aufsehen sorgte.

Doch nicht nur der Frontmann sollte hier Erwähnung finden, denn mit Bassist Walter Stoever und Keyboarder Charlie Steinberg sind nicht nur zwei Weggefährten aus der alten Zeit mit an Bord sondern damit auch herausragende Musiker, die genreübergreifend agieren können. Frischen Wind in die Kaschemme bringen Drummer Tom Günzel und Gitarrist Peter Koller, die für den Rockanteil verantwortlich sind. Und dass der Sänger und Frontmann rocken kann, hat er unlängst in seinem Kinofilm „King Ping“ bewiesen, in dem er an der Seite von Bela B. (DIE ÄRZTE) und Christoph Maria Herbst als schwuler Sänger einer Heavy Metal Band agierte.

Doch beschäftigen wir uns zuerst mit der soften Variante „Geisterschiff“. Die Trackliste ist mit „Hart am Wind“ fast identisch, beinhaltet aber auch fünf Liveversionen von „Wonderworld“, „Die Gier“, „Der Fenstergucker“, „Nachtschicht“, „Übers Meer“ und „Der Morgen“, bei denen das ganze Spektrum des musikalischen Könnens zum Tragen kommt. Schon beim Hören dieser Live-Songs muss man STIER eine großartige Live-Performance bescheinigen.
Allerdings beginnt „Geisterschiff“ mit der hitverdächtigen Nummer „Jeden Tag hinaus. Eine melancholische Reise eines Fischers – als ehemaliger Seemann weiß H-M Stier, worüber er da singt. Toll. Experimenteller kommen da schon Stücke wie „Mein Gott“ wo die Herren ziemlich funkig unterwegs sind oder beim verstörenden „Mein Schatz“. Nachdenklich werden STIER bei „Der Frost“ – das für das Münsteraner Straßenmagazin „draußen“ verfilmt wurde und dessen Einnahmen komplett an die Obdachlosenhilfe gespendet wurde – oder bei „Leinen los“, das erneut die Sehnsucht eines Seefahrers durchblicken lässt.

“Geisterschiff“ ist ein nachdenkliches und eindringliches Stück Musik, das von der außergewöhnlichen Stimme des Sängers und von der tollen Instrumentalisierung der Songs lebt.

Aber auch die rockigere Version „Hart am Wind“ wollen wir nicht vernachlässigen. Dieser Silberling beginnt ebenfalls mit „Jeden Tag hinaus“ (Video HIER). Schleppend bewegt sich „Wonderworld“ fort, bevor es mit einem furiosen Finale begeistern kann. Aber auch ein Song wie „Nachtschicht“ – der Hymne für alle Schichtarbeiter – rockt gewaltig und erinnert fast schon ein wenig an RAMMSTEIN. In die gleiche Kerbe schlägt das elektronisch und stoisch vor sich hinwalzende „Rauhaar“, während H-M Stier hier zwischen Till Lindemann in den Strophen und Max Raabe im Refrain wechselt. Ebenfalls nicht auf „Geisterschiff“ enthalten sind die Stücke „Keine Zeit“ (mit prallen Doublebass-Salven), „Schwarz“ und „Vampire“.

STIER liefern mit diesem Doppelpack für praktisch jeden Geschmack die richtige Platte. Allerdings macht auch die Kombination der beiden Silbertaler den Reiz aus, den der Fünfer aus dem hohen Norden bietet. Für alle, die gerne über den Tellerrand schauen oder eher zufällig bei unserem Magazin gelandet sind (solche soll es ja auch geben :-)) sind STIER eine Entdeckung wert.

WERTUNG:

(beide Alben)

Trackliste:

”Geisterschiff“
01. Jeden Tag hinaus
02. Der Frost
03. Mein Gott
04. Leinen los
05. Mein Schatz
06. Geisterschiff
07. Johnny
08. Schwarz
09. Wonderworld (Live)
10. Die Gier (Live)
11. Der Fenstergucker (Live)
12. Nachtschicht (Live)
13. Übers Meer (Live)
14. Der Morgen (Live)

“Hart am Wind”
01. Jeden Tag hinaus
02. Wonderworld
03. Geisterschiff
04. Mein Gott
05. Der Frost
06. Rauhaar
07. Mein Schatz
08. Der Fenstergucker
09. Keine Zeit
10. Schwarz
11. Vampire
12. Nachtschicht
13. Der Morgen

Stefan

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