NIGHTWISH – HVMAN :||: NATVRE (Gastrezension)

Band: Nightwish
Album: HVUMAN :||: NATVRE
Spielzeit: 81:35 min
Stilrichtung: Symphonic Power Metal
Plattenfirma: Nuclear Blast
Veröffentlichung: 10.04.2020
Homepage: www.nightwish.com

Auf die Frage, wie viel Bombast das neue Album haben soll, hat NIGHTWISH-Bandleader Tuomas Holopainen schon immer mit „JA!“ geantwortet: Betrachtet man die Evolution der Band seit dem beinahe andersweltlich gestimmten, mit eher kostengünstigen 90er-Jahre-Keyboards instrumentalisierten und von der göttlichen Stimme Tarja Turunens (ja, die Autorin ist bekennender NIGHTWISH und Tarja-Fan!) gesungenen Debütalbum „Angels Fall First“ über den internationalen Durchbruch mit „Once“ hin zu dem viktorianisch anmutenden Musik-Film-Projekt „Imaginaerium“, so fällt auf, dass NIGHTWISH-Alben breiter, länger, höher, tiefer und mächtiger wurden – und immer länger auf sich warten ließen. Was kann man also von einem Album erwarten, das nunmehr ganze fünf Jahre Produktionszeit benötigte und dessen Titel bereits ankündigt, dass es sich thematisch mit Mensch, Erde und allem, was dazwischen liegt, befassen wird? Ganz genau: mehr Länge, mehr Orchester, mehr Komposition, mehr Thema, mehr alles, vor allem aber: mehr Bombast!
Bereits das Layout des Albumtitels lässt vermuten, dass die Hörerschaft eine Gegenüberstellung erwartet: „HVMAN :||: NATVRE“ – zwei Elemente, die zusammengehören und sich zugleich wie Gegensätze zueinander verhalten. Und tatsächlich befassen sich die insgesamt 17 Tracks (angeblich nicht politisch motiviert) mit dem schwierigen Verhältnis zwischen menschlicher Natur und unserem irdischen Lebensraum. Dabei scheinen NIGHTWISH in der Steinzeit anzufangen, setzt doch der Opener ‚Music‘ zunächst mit einsamen Holzbläsern, einzelnem Klicken und Tiergeräuschen über einem dezenten Keyboardteppich an, bevor er sich dann nach und nach mit rhythmischen Trommeln und Orchester zu einer gewaltigen Symphonic-Metal-Bestie aufbäumt, die durch Floors sehr klare Stimme erstaunlicherweise kaum bezwungen werden mag. Dieses Phänomen findet sich häufiger auf dem Album: Im Vergleich zu der auch bei Tracks wie „Shoemaker“ oder „Pan“ bombastischen Instrumentalisierung verliert Floors viel gelobte Stimme einiges von der Strahlkraft, die sie live hat. Erst in „How’s The Heart“ kommt sie wirklich zur Geltung. Davon abgesehen sind von den ersten neun Tracks zwei hervorzuheben: zum einen das höchst radiotaugliche „Harvest“, bei dem NIGHTWISH lyrisch ihre Faszination für Gartenarbeit (?!) oder Landromantik ausleben und Marco einen ungewohnt farblosen Folk-Part zu singen bekommt. Zum anderen ist da „Endlessness“, bei dem der Name Programm ist: eine epische Klangwand mit bezaubernden Melodien, in denen man versinken kann! Die anderen Stücke bis hierhin vereinen das, was NIGHTWISH geil macht – viel Orchester mit harten Gitarren, epischen Chören, überbordenden Keyboards – kranken dabei nur etwas an fehlender kompositorischer Originalität.
Und dann ist da der zweite Teil, „All The Works Of Nature Which Adorn The World“.
Wer nicht mit Tuomas‘ Liebäugeleien für Filmmusik liebäugelt und bereits für „The Greatest Show On Earth“ des Vorgängeralbums keinen Nerv hatte, der wird an diesem Part wenig Freude haben. Alle anderen hingegen finden sich in einer Symphonie wieder, die vielleicht nicht an MAHLER oder BEETHOVEN heranreicht, aber bestimmt HANS ZIMMER das Fürchten lehren könnte. Einzelne Tracks hier zu empfehlen ist kaum sinnvoll, da diese nur im Zusammenspiel ihre ganze Wirkung entfalten können und wie die Soundtrack der Evolution klingen – im absolut besten Sinne, denn „NATVRE“ kann auch ohne schwere Riffs Momente der Bedrohlichkeit erzeugen. Die mit „The Blue“ in der Tiefe des Urgewässers ansetzende Reise endet mit „Ad Astra“ bei den Sternen – ein heißer Anwärter auf die lohnenswerteste Reise, auf die man als Symphonic Metal-Fan dieses Jahr (trotz Corona!) gehen kann! „Bombast?“ – „Bombast!“

Fazit:
Wie soll man zu diesem janusgesichtigen Klangbild ein Fazit finden? Die ersten neun Tracks stellen das dar, was man als NIGHTWISH-Fan erwarten kann: ein solides, sauber und klar produziertes Symphonic-Metal-Album mit vielen verspielten Momenten und dem Ausschöpfen aller bandinternen Ressourcen, das aber nicht viel Neues bereithält. Der zweite Teil des Albums hingegen lässt den ersten Teil vollkommen in den Hintergrund geraten, verhilft so aber auch zu einem wesentlich positiverem Eindruck. Wer (wie ich) mit „Endless Forms Most Beautiful“ die musikalische Stagnation von NIGHTWISH befürchtet hatte, wird mit „Human :||: Nature“ eines besseren belehrt.

Anspieltipps:
„Noise“, „Procession“, „Endlessness“ und „Vista“ (da erster Track des großartigen zweiten Teils)

WERTUNG:

 

 

Trackliste:

01. Music
02. Noise
03. Shoemaker
04. Harvest
05. Pan
06. How’s The Heart
07. Procession
08. Tribal
09. Endlessness
10. All The Works Of Nature Which Adorn The World: Vista
11. All The Works Of Nature Which Adorn The World: The Blue
12. All The Works Of Nature Which Adorn The World: The Green
13. All The Works Of Nature Which Adorn The World: Moors
14. All The Works Of Nature Which Adorn The World: Aurorae
15. All The Works Of Nature Which Adorn The World: Quiet As The Snow
16. All The Works Of Nature Which Adorn The World. Anthropocene
17. All The Works Of Nature Which Adorn The World: Ad Astra

Julia

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